Mit einem Festgottesdienst, der aus der Kirche Berlin-Lichtenberg in mehr als 7500 Gemeinden übertragen wurde, begingen neuapostolische Christen in aller Welt das diesjährige Pfingstfest. Der oberste Geistliche der Kirche, Stammapostel Wilhelm Leber, rief in seiner Pfingstpredigt die Gläubigen zu einem liebevollen Umgang miteinander auf. Vorangegangen waren dem Gottesdienst gestern eine Versammlung der in Europa tätigen Apostel sowie ein Konzert des Berliner Schulchors.
Ein Grußwort aus dem 1. Johannesbrief (4,11) stellte das Kirchenoberhaupt an den Beginn des Gottesdienstes in der vollbesetzten Lichtenberger Kirche: "Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben." Dies sei gewiss keine neue Botschaft, führte der Stammapostel aus, aber "ich glaube, dieser Gedanke braucht mal wieder einen neuen Akzent."
So komme es auf einen liebevollen Umgang miteinander an: "Das sollte ein richtiges Markenzeichen der Gemeinden sein." Es gehöre aber auch dazu, dass jeder seine Gaben einbringe und dass die Gläubigen in der Fürbitte füreinander aktiv seien: "Fürbitte ist wichtig, das schmiedet zusammen." Außerdem mahnte der Stammapostel, sich in den Gemeinden auch jenen zuzuwenden, die am Rande stünden: "Eine Gemeinschaft ist dann stark, wenn sich auch der Schwächste noch in ihr geborgen fühlt."
Nichts unter den Teppich kehren
Die Gemeinschaft zu stärken bedeute jedoch nicht, sich abzukapseln. Die Kirche sei offen nach außen und wolle jeden gern einbeziehen. Aber es müsse sichtbar werden, dass der Gemeinschaftsgedanke in den Gemeinden stark gepflegt werde. Dies schließe auch mit ein, dass Probleme nicht unter den Teppich gekehrt würden, sondern in den Gemeinden zur Sprache kämen: "Solche Dinge sollten den Amtsbrüdern gegenüber geäußert werden, damit man nach einer Lösung suchen kann."
Grundlage der Pfingstpredigt war ein Bibelwort aus dem Epheserbrief (1, 16 und 17): "Darum [...] höre ich nicht auf, zu danken für euch, und gedenke euer in meinem Gebet, dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn zu erkennen."
Weisheit und Erkenntnis
Besonders hervor hob der Stammapostel die Begriffe Weisheit und Erkenntnis. Weisheit sei wichtig, um Versuchungen zu erkennen und zu überwinden, um Frieden zu schaffen und zu bewahren und um anderen ein Segen zu sein. Zum Stichwort Frieden schaffen erklärte das Kirchenoberhaupt, es sei wichtig, dass alle sich einbrächten. "Man hört manchmal: 'Ich bin halt so, wenn der andere sich an mir stört, dann ist das seine Sache.' Da macht man es sich zu einfach, das Evangelium geht an dieser Stelle tiefer. Wo immer ein Konflikt von einem wahrgenommen wird, muss man daran gehen, diesen zu lösen."
Zum Begriff der Erkenntnis gehöre, zurück zu blicken, um die wahre Größe des Opfers Jesu Christi zu erkennen, in die Zukunft zu schauen, um Einblicke in den Heilsplan Gottes zu gewinnen, und letztlich die Gegenwart zu betrachten und sich selbst die Frage zu stellen, ob man Gott in seinem eigenen Leben ganz persönlich erkannt habe. Man müsse dabei auch erkennen, "wo der Herr uns hinhaben möchte. Manches Mal möchte uns der Herr weiterführen, neuen Einblick in Zusammenhänge geben, aber wir haben ein bisschen träge Herzen."
Im weiteren Verlauf des Gottesdienstes rief der Stammapostel die Bezirksapostel Armin Brinkmann (Nordrhein-Westfalen) und Hagen Wend (Hessen) sowie den erst vor kurzem für die Gebietskirche Schweiz ordinierten Bezirksapostel Markus Fehlbaum zu Predigtbeiträgen auf.
Entschlafenengedenken: Mütter im Mittelpunkt
Der Leiter der gastgebenden Gebietskirche Berlin-Brandenburg, Bezirksapostel Wolfgang Nadolny ging in Vorbereitung auf das Heilige Abendmahl für die Entschlafenen auf den vor wenigen Tagen, am 8. Mai, begangenen Jahrestag des Kriegsendes ein: „Vor 63 Jahren ging der Zweite Weltkrieg zu Ende, Europa lag in Schutt und Asche. Wie viele Mütter haben damals ihre Kinder hergegeben?“, fragte er und nahm damit Bezug auf den in Deutschland heute gefeierten Muttertag. "Inzwischen sind viele Jahre vergangen, wir leben in einem Land, in dem Frieden herrscht – aber gestorben wird immer noch. Ich denke da auch an die Mütter, die ihre Kinder nie in den Arm nehmen konnten. Sie waren gewollt und erwartet – aber der liebe Gott hat es anders entschieden." Und so wurde verstorbener Kinder, Mütter und auch Väter bei diesem Abendmahl für die Entschlafenen besonders gedacht.
Erstmals beteten an diesem Tag Christen in allen deutsch- und englischsprachigen neuapostolischen Gemeinden das Gebet "Unser Vater" in neuen Textfassungen. Im deutschsprachigen Raum gilt seit heute der Gebetstext in der Fassung der Lutherübersetzung von 1984, in englischsprachigen Gemeinden wird ab sofort der Text aus der New-King-James-Bibel gebetet. Diese Änderung war von der Kirchenleitung vor zwei Jahren beschlossen worden.
Musik und Bibellesung
Die meisten der mehr als 50 Apostel und Bezirksapostel waren bereits am Freitag nach Berlin gereist. Sie kamen am Samstagvormittag zu einer Apostelversammlung zusammen. Am Nachmittag fanden sie sich das erste Mal in der Kirche Berlin-Lichtenberg ein, zu einer Veranstaltung des traditionellen Berliner Schulchors. Weitere Mitwirkende während des rund einstündigen Programms waren unter anderem das Orchester I der NAK Berlin-Brandenburg sowie der erst vor kurzem gegründete Kinderchor des Kirchenbezirks Cottbus. Der Schulchor trug unter anderem "Kommt, Seelen dieser Tag muss heilig sein besungen" aus dem Bach-Schemelli-Gesangbuch von 1736 vor, sowie Albert Beckers Motette "Sehet welch eine Liebe". Ein Frauenchor interpretierte Martin Luthers "Nun bitten wir den Heiligen Geist" und "Ihr Kinder Israels" (Laudate pueri) von Felix Mendelssohn Bartholdy. Außerdem zu Gast war ein Chor aus der russischen Stadt Woronesch, der die Stücke "Bräut'gam der Seele" und "Meine Heimat ist dort in der Höh'" auf russisch vortrug. Ein besonderer Akzent wurde an diesem Nachmittag mit mehreren Lesungen von Schriftworten gesetzt, die die Wirkungsweisen des Heiligen Geistes beleuchteten. Julia Ertel aus der Gemeinde Potsdam las dabei Passagen des Johannesevangeliums, der Apostelgeschichte, des Römer- und Epheserbriefs sowie der Offenbarung des Johannes.
Kreuzberg bei Nacht
Den Vorabend des Pfingstsonntags hatten die Berlin-Besucher mit einer rund dreistündigen Dampferfahrt auf der Spree abgerundet. Der Rückweg zum Hotel wurde dabei zum besonderen Berlin-Erlebnis: Nachdem das Schiff am Schlesischen Tor im Berliner Szenebezirk Kreuzberg gegen 22 Uhr angelegt hatte, begaben sich die Apostel mit ihren Ehefrauen zu Fuß und mit der dort oberirdisch verlaufenden U-Bahn zurück zum Hotel – wobei sich intensive multikulturelle Hauptstadteindrücke sammeln ließen, da am Pfingstwochenende traditionell der Karneval der Kulturen auf den Kreuzberger Straßen gefeiert wird.
Am Sonntagnachmittag traten die Gäste aus allen Teilen Europas wieder die Heimreise an.