Konzert in der Gethsemanekirche

Er­folg­rei­cher Ab­schluss eines an­spruchs­vollen Kul­tur­pro­jekts: Nach in­ten­siver Pro­be­zeit führten Or­che­ster und Pro­jekt­chor der Ge­biets­kirche Berlin-Bran­den­burg vor rund 700 Kon­zert­be­su­chern zwei Werke der Ro­mantik auf: Louis Viernes Messe so­len­nelle und Felix Men­dels­sohn Bar­tholdys Lob­ge­sang-Sin­fonie standen am Samstag, 12. Juni, in der Geth­se­ma­n­ekirche in Berlin-Prenz­lauer Berg auf dem Pro­gramm.

"Ich hab kein Bild!" Der Mann steht auf der Sei­ten­em­pore der Geth­se­ma­n­ekirche und schaut sich su­chend nach je­mandem um, der ihm wei­ter­helfen kann. Es ist einer der beiden Or­ga­nisten des Abends, To­bias Berndt. Der 32-jäh­rige scheint sich al­ler­dings nicht davon aus der Ruhe bringen zu lassen, dass er kein "Bild" hat. "Auf dem Mo­ni­tor", schiebt er er­läu­ternd nach und deutet in Rich­tung des Spiel­tischs un­ter­halb des Or­gel­pro­spekts. Damit das Zu­sam­men­spiel zwi­schen den an­deren Mu­si­kern und ihm funk­tio­niert, muss er per Bild­schirm ver­folgen, was unten auf der Bühne - und damit hinter seinem Rücken - ge­schieht. "Wird ein schönes Kon­zert wer­den", sagt er noch, bevor er sich weiter seinen Weg durch die sich nach und nach fül­lenden Be­su­cher­reihen bahnt.

An einer klei­neren Orgel, unten rechts neben der Bühne, hat be­reits Pa­trick Wil­der­muth Stel­lung be­zogen. Als der Chor schließ­lich um kurz vor fünf den Kir­chen­raum be­tritt, ist der ehr­wür­dige Sa­kralbau gut mit Zu­hö­rern ge­füllt. Der Ver­an­stal­tungstag er­weist sich als güns­tiger Termin: Das Wetter ver­lockt nicht zum Frei­bad­be­such und das erste Fuß­ball-WM-Spiel mit deut­scher Be­tei­li­gung steht erst am Tag da­nach auf dem Pro­gramm.

Spätro­man­ti­sches Wech­sel­spiel

Die Plätze des Or­che­s­ters sind auch kurz vor Be­ginn noch ver­waist - und sie bleiben es auch bis zur Mitte des Pro­gramms. Denn den Auf­takt bildet die Messe so­len­nelle für zwei Or­geln und Chor, op. 16, von Louis Vierne (1870-1937), ein spätro­man­ti­sches Werk, das der fast blinde Or­ga­nist und Kom­po­nist vor 110 Jahren schrieb. "Es ist eine ,kleine Messe', wie man so sagt - aber eine, die es in sich hat", zeigt sich Bi­schof Ha­rald Bias in seinen kurzen ein­lei­tenden Worten be­geis­tert. Er heißt die Kon­zert­be­su­cher als Ver­treter der Kir­chen­lei­tung "an dieser ganz be­son­ders er­ha­benen Stätte", der Geth­se­ma­n­ekirche, will­kommen und stellt die Mu­si­ke­rinnen und Mu­siker vor, die unter der Lei­tung ihres Di­ri­genten Volker Hedt­feld den Abend be­streiten werden: Neben Chor, Or­che­ster und Or­ga­nisten sind dies die So­pra­nistin Chris­tina Bi­schoff, die Mez­zo­so­pra­nistin Ka­trin Weege sowie der Tenor Nico Eckert.

Und dann bricht sich die Spätro­mantik ihre Bahn: Macht­voll er­öffnet die Haup­torgel das Spiel und schon we­nige Se­kunden später be­ginnt ein mu­si­ka­li­scher Dialog mit der klei­neren Orgel unten, die sich selbst­be­wusst ge­gen­über dem vo­lu­mi­nöseren Klang aus der Höhe zu be­haupten weiß. Kurz darauf stimmt auch schon der Chor sein "Kyrie elei­son", den "Herr, er­barme dich"-Ruf, an. Die Akustik des Raumes ver­leiht den Tönen dabei Weite und Tiefe ohne sie ihrer klaren Kon­turen zu be­rauben. Dass sie sich damit gleich­zeitig un­barm­herzig ge­gen­über jedem unsau­beren Klang zeigt, ist eine Her­aus­for­de­rung, die Chor und Or­che­ster im Ver­lauf des Abends sou­verän meis­tern.

Sphä­ren­haft, span­nungs­reich, un­ge­wiss

Un­an­ge­strengt, aber ohne Läs­sig­keit, mit allem Ernst, aber ohne jede Ver­kramp­fung - so ab­sol­vieren die rund 90 Sän­ge­rinnen und Sänger Satz um Satz und nehmen, ge­meinsam mit den Or­geln, die Zu­hörer mit auf har­mo­nisch zum Teil un­ge­wohnte Pfade. Mal sind es die Frau­en­stimmen, die sphä­ren­haft durch den Raum flirren, mal Or­gel­klänge, die ins Un­ge­wisse ab­wärts gleiten. Und so macht­voll die Orgel die Messe er­öffnet hat, so fried­voll und tröst­lich be­schließt sie sie auch: "Dona nobis pacem", "Gib uns Frie­den", die von Chor und Orgel vor­ge­tra­gene Schluss­bitte birgt durch die Sanft­heit im Klang in sich be­reits ihre Er­fül­lung.

Damit schlägt rund eine drei­viertel Stunde nach Be­ginn die Stunde des Or­che­s­ters. Für das rund 50-köp­fige En­semble ist es der erste kon­zer­tante Auf­tritt seit seiner Grün­dung im Herbst ver­gan­genen Jahres. Men­dels­sohns Sin­fonie Nr. 2 in B-Dur, op. 52, "Lob­ge­sang", hatten sie bis­lang le­dig­lich in Aus­zügen bei ver­schie­denen inn3r­kirch­li­chen Ge­le­gen­heiten zu Gehör ge­bracht.

Ta­damm - ta­damm - ta­damm

Vor diese Or­che­s­ter­pre­miere haben die Or­ga­ni­sa­toren al­ler­dings noch eine hilf­reiche Werk­sein­füh­rung plat­ziert. "Men­dels­sohns Lob­ge­sang-Sin­fonie ist vor allem durch ein zwei­tak­tiges Thema ge­prägt", er­läu­tert dabei Di­ri­gent Volker Hedt­feld den Kon­zert­be­su­chern das prä­gende Motiv der Sin­fonie und vor allem der in sie in­te­grierten Kan­tate: "Alles, was Odem hat, lobe den Herrn" - es sind ver­tonte Worte aus dem 150. Psalm, die von Po­saunen und Män­ner­stimmen auch gleich bei­spiel­haft vor­ge­führt werden, Worte, die für das Or­che­ster eine be­son­dere Be­deu­tung haben, wie Bi­schof Bias be­reits am Be­ginn des Kon­zerts er­klärt hatte: Dieser Psalm steht auch leit­mo­ti­visch über der Grün­dung des Or­che­s­ters. Hier wird er nun als Frag­ment zu Gehör ge­bracht, das im uner­war­teten Mo­ment ab­bricht und Lust ma­chen soll aufs Ganze. "Das Ende zu ver­raten, wäre jetzt fahr­läs­sig", winkt der Di­ri­gent ab und er­läu­tert wei­tere Hör­bei­spiele, nicht zu­letzt den mar­kanten Rhythmus - "ta­damm, ta­damm, ta­damm" -, der im Ver­lauf der Kan­tate immer drän­gender her­vor­tritt.

So wird die Auf­füh­rung der Lob­ge­sang-Sin­fonie für die meisten Zu­hörer zum Aha-Er­lebnis. Immer wieder be­gegnet ihnen Be­kanntes: Hier die vom Tenor vor­ge­tra­gene bange Frage: "Hüter, ist die Nacht bald hin?", dort die So­pra­nistin, von deren Ge­sang der Chor sich "ab­ho­len" lässt: "Die Nacht ist ver­gan­gen", be­gonnen als so­lis­ti­sche An­kün­di­gung, ex­plo­diert förm­lich in Chor und Or­che­ster. Es sei "eine Schlüs­sel­stelle des Wer­kes", hatte der Di­ri­gent an­ge­kün­digt. Und für einen kurzen Mo­ment stockt wirk­lich der Atem. Das zuvor dar­ge­stellte Dunkel der Welt wird vom Licht ver­drängt, macht­voll klingen die vollen Ak­korde durch die Kirche.

Drei Sätze hat das Or­che­ster zu­nächst für sich al­lein, bevor sich die Sin­fonie zur Kan­tate weitet. Drei Sätze, in denen die In­stru­men­ta­listen, die fast alle nicht mit Mu­si­zieren ihr Geld ver­dienen, zeigen, wie ein drei­viertel Jahr Pro­ben­ar­beit zu­sam­menschweißen kann: Das sei­ner­zeit aus zwei bis dahin un­ab­hängig von­ein­ander ak­tiven Or­che­s­tern ent­stan­dene En­semble prä­sen­tiert sich auch als at­mo­sphä­risch ge­schlos­sene Ein­heit, in der das Zu­sam­men­spiel au­gen­schein­lich rei­bungslos funk­tio­niert. Über­zeu­gend vor­ge­tra­gene So­lo­pas­sagen, vor allem im zweiten Satz, tragen zu diesem Ein­druck ebenso bei wie der ins­ge­samt trans­pa­rente Klang, der die Ein­zel­stimmen er­fahrbar werden lässt ohne dass der Ge­samt­klang zu zer­fallen droht.

Zu­frie­dene Ge­sichter

Für das Or­che­ster ist es ein Abend, der alle Kräfte for­dert, am Ende aber Be­geis­te­rung aus­löst. Wohin man nach zwei Stunden Kon­zert auch schaut, man blickt in zu­frie­dene Ge­sichter: Bei Chor, Or­che­ster und So­listen, weil alle zu­sammen ihr Pro­jekt mit viel En­ga­ge­ment zum er­folg­rei­chen Ab­schluss ge­bracht haben - und bei den Kon­zert­be­su­chern, weil sie sich mitreißen ließen.

Für alle, die das Kon­zert nicht be­su­chen konnten oder es noch einmal in ver­än­derter Be­set­zung er­leben wollen: Am Samstag, 19. Juni, stehen Viernes Messe und Men­dels­sohns Sin­fonie noch einmal auf dem Pro­gramm. Dann tritt das Or­che­ster ge­meinsam mit der Can­torei der Re­for­ma­ti­ons­kirche in Berlin-Moabit auf.

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