Am Sonntag, 8. Januar 2017 feiert Stammapostel Jean-Luc Schneider den Gottesdienst in Berlin-Prenzlauer Berg. Es ist kein gewöhnlicher Besuch des internationalen Kirchenpräsidenten. In einer Feierstunde am Samstag wird ein Jubiläum gefeiert: 25 Jahre zuvor vollzog sein Vorvorgänger, Stammapostel Richard Fehr die Wiedervereinigung der Berliner Gemeinden.
Es ist der 13. August 1961, Grenzregimente der Deutschen Demokratischen Republik stoppen den Weggang Tausender Arbeitskräfte in den Westen Deutschlands rabiat: Die Berliner Mauer entsteht. Sie teilt Freunde, Familien und Gemeinden für die nächsten 28 Jahre. In einem Einspielfilm anlässlich des Pfingstfestes 2008 berichtet Bezirksältester i.R. Werner Simon davon, am Sonntagmorgen nicht mehr in die Gemeinde Berlin-Nord II (heute Humboldthain/Mitte) zu können. Und der Gottesdienstbesuch in der Heimatgemeinde ist nicht das Einzige, dass verwehrt bleibt: Der Mauerbau verhindert auch die seelsorgerische Betreuung der Gläubigen. Stammapostel Walter Schmidt entscheidet im Dezember 1961, Berlin-West künftig durch Bezirksapostel Hermann Knigge aus Hannover betreuen zu lassen. Die Staatsmacht der DDR hat somit nicht nur Deutschland, nicht nur Berlin getrennt, sondern auch die Neuapostolischen Gemeinden in Berlin.
Im Herbst 1989 begehren die Ostdeutschen auf. Nach Demonstrationen in Leipzig, Berlin und später auch in deutlich kleineren Städten lockert die politische Führung der DDR die Reisebedingungen. Hans-Dietrich Genscher, Außenminister der Bundesrepublik, verkündet die Ausreise hunderter Menschen in der Prager Botschaft. Am 9. November 1989 ist es soweit: Am Grenzübergang Bornholmer Straße - etwa 1 Kilometer Luftlinie von der Gemeinde Humboldthain entfernt - geht der Schlagbaum auf. Ein Jahr später sind die Verhandlungen zur Deutschen Einheit abgeschlossen, Deutschland vereinigt. Am Sonntag, 5. Januar 1992 wird die Wiedervereinigung auch für die Neuapostolische Kirche in Berlin real. Stammapostel Richard Fehr führt zusammen, was zusammengehört. Er vereinigt die beiden Bezirke Berlin-West und Berlin-Ost zur Gebietskirche Berlin-Brandenburg und betraut Bezirksapostel Fritz Schröder mit deren Leitung.
28 Jahre Trennung haben Spuren hinterlassen. Und so, wie die Deutsche Einheit sich erst nach und nach vollzieht, ist es auch innerkirchlich. Vorurteile und distanzierte Zurückhaltung erschweren das Zusammenwachsen. Bezirksapostel Wolfgang Nadolny, Nachfolger von Bezirksapostel Schröder, sieht die Gebietskirche ganzheitlich. 2006 beginnt er, Gemeinden in einer Bezirksreform zusammenzulegen, schneidet die Kirchenbezirke neu zu. Dabei orientiert er sich an den Strukturen der Bezirke vor dem Mauerbau. Und er predigt immer wieder von einem wohlwollenden Miteinander: Es gelte Brücken zu bauen, Mauern einzureißen und Gräben zuzuschütten, ruft er den Gläubigen "seiner" Gebietskirche als Motto für das Jahr 2012 zu. Heute sagt er dazu: "Unterschiede bestanden vor allem auf einer normalen, menschlichen Ebene. Sie waren bedingt durch das unterschiedliche gesellschaftliche Umfeld. Nach 25 Jahren der Wiedervereinigung haben wir praktisch keine mehr daraus resultierenden Probleme. Missverständnisse, die hin und wieder auftreten, führe ich auf schlechte oder unzureichende Kommunikation zurück. Eine gute Kommunikation hilft, Verständnis zu wecken und Konflikte zu lösen. Wir arbeiten daran - von den verantwortlichen Seelsorgern der Kirchenleitung bis hin zu den Gemeindevorstehern."
Nach ziemlich genau 25 Jahren ist am 8. Januar 2017 abermals ein Stammapostel in Berlin-Brandenburg: Jean-Luc Schneider, Kirchenpräsident der Neuapostolischen Kirche International, besucht die Gläubigen der Hauptstadt und deren Umgebung. Er feiert mit ihnen Gottesdienst - aber auch 25 Jahre "neuapostolische Wiedervereinigung". Der Gottesdienst wird aus der Gemeinde Berlin-Prenzlauer Berg übertragen. Der Zugang vor Ort ist aus Kapazitätsgründen nur mit Einlasskarten möglich.
Zur Gebietskirche Berlin-Brandenburg gehören etwa 24.000 Gläubige. Sie erstreckt sich, bis auf wenige Ausnahmen, auf die Bundesländer Berlin und Brandenburg. Bezirksapostel Wolfgang Nadolny unterstützen Apostel Klaus Katens, die Bischöfe Harald Bias und Udo Knispel sowie etwa 1000 ehrenamtliche Amtsträger in knapp 100 Gemeinden.
Text: jel
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