Ort des Geschehens ist die Stadthalle im Familiengarten Eberswalde

Mit Verstand die Kirche zukunftsfähig machen

Rund neun Jahre nach der letzten großen Strukturreform innerhalb der Gebietskirche hat Bezirksapostel Wolfgang Nadolny weitere tiefgreifende Veränderungen angekündigt: In den nächsten 15 Jahren müssten mehr als die Hälfte der derzeit knapp 100 Gemeindestandorte aufgegeben werden, damit die Gebietskirche lebensfähig bleibe, stellte er am Sonntag, 21. Juni 2015, am Ende eines zentralen Gottesdienstes in Aussicht, der aus der Stadthalle Eberswalde in die gesamte Gebietskirche übertragen wurde. Im Rahmen dieses Gottesdienstes wurden auch die Bezirksvorsteher der Kirchenbezirke Berlin-Ost und -Südwest, die Bezirksältesten Bernd Retzlaff und Jürgen Jeßke, in den Ruhestand versetzt. Zudem wurden die Bezirke Berlin-Südwest und Brandenburg zu einem gemeinsamen Bezirk vereinigt.

Es war das erste Mal, dass sich der Leiter der Gebietskirche Berlin-Brandenburg mit so konkreten Zahlen in einer Live-Ansprache an die Kirchenmitglieder wandte. "Ich weiß, dass ich mit dieser Information keine Freude verbreite", räumte er ein. "Aber ich stehe hier als euer Bezirksapostel und will ehrlich sein." Bei seinen Ausführungen in Eberswalde knüpfte er an eine Analyse an, die bereits beim Vorstehertag im Herbst vergangenen Jahres vorgestellt worden war.

"Das Geld haben wir nicht"

Ein hoher Instandhaltungsbedarf bei den Kirchengebäuden, gepaart mit einer sinkenden Zahl an Gottesdienstbesuchern, macht der Kirche zunehmend zu schaffen. Derzeit liege der Auslastungsgrad der Kirchen an Sonntagen bei rund 50 Prozent. Einer Prognose zufolge wird diese Zahl bis 2030 auf unter 40 Prozent sinken. In absoluten Zahlen ausgedrückt heißt dies, dass zurzeit noch im Schnitt rund 7.500 Menschen die neuapostolischen Sonntagsgottesdienste in Berlin und Brandenburg besuchen, in 15 Jahren rechnet die Kirche aber nur noch mit durchschnittlich 4.900 Gottesdienstteilnehmern. Gleichzeitig bezifferte Bezirksapostel Nadolny den Instandhaltungsbedarf für die Gebäude bis 2030 auf 46 Millionen Euro. "So viel müssten wir aufwenden um die Kirchen, die wir jetzt haben, in einem würdigen Zustand zu halten. Das Geld haben wir aber nicht."

Hilfe verspricht ein Bauförderprogramm der europäischen Gebietskirchen (wir berichteten), aus dem die Gebietskirche in den kommenden sechs Jahren 7,5 Millionen Euro für die Instandhaltung bestehender und den Bau neuer Kirchen erhält. Diese Förderung ist an eine Co-Finanzierung durch die Gebietskirche in gleicher Höhe geknüpft, so dass das Baubudget für diesen Zeitraum 15 Millionen Euro umfasse, wie Bezirksapostel Nadolny erläuterte. Außerdem sieht die von den europäischen Bezirksaposteln beschlossene Baurichtlinie als Zielmarke vor, dass die Kirchen im Jahr 2030 eine sonntägliche Sitzplatzauslastung von 60 Prozent, bei Neubauten sogar von 80 Prozent aufweisen sollten.

"Wir müssen neu bauen um zu sparen"

Geplant ist deshalb, die Sitzplatzkapazitäten in den Gemeinden in Berlin und Brandenburg in den nächsten Jahren in etwa zu halbieren. Das bedeutet, dass mehr als 50 Prozent der derzeit noch 100 Gemeindestandorte geschlossen und etliche Gemeinden zusammengelegt werden müssen. Im Gegenzug sollen aber auch neue Kirchengebäude errichtet werden, weil sie im Unterhalt deutlich billiger sind. "Wird ein neues Gebäude errichtet, fallen in den ersten 20 Jahren so gut wie keine Reparaturkosten an. Weil das so ist, müssen wir neu bauen, um zu sparen", so der Bezirksapostel.

Schließungs- und Zusammenlegungspläne für konkrete Gemeinden nannte Bezirksapostel Nadolny nicht. Die Umsetzung des Konzeptes solle schrittweise erfolgen und das Konzept immer wieder auf den Prüfstand. „Es lebt und wird ständig angepasst.“ Gemeinden, die zusammengelegt werden sollen, würden in der Regel ein Jahr im Voraus informiert werden.

"Ihr habt Stammapostel und Bezirksapostel kommen und gehen sehen"

Der vorausgegangene Gottesdienst war geprägt von einem Generationenwechsel, den Bezirksapostel Nadolny für zwei Kirchenbezirke vollzog und in einem weiteren vorbereitete. Die beiden langjährigen Bezirksältesten Jürgen Jeßke und Bernd Retzlaff wurden nach 43 bzw. 44 Amtsjahren in den Ruhestand versetzt, weil sie die Altersgrenze von 65 Jahren erreicht hatten. "Ihr habt Stammapostel und Bezirksapostel kommen und gehen sehen und dem lieben Gott die Treue gehalten", würdigte der Bezirksapostel die Tätigkeit der beiden Amtsträger. "Mit euch ein Stück des Weges gegangen zu sein, erfüllt mich mit großer Freude." Bernd Retzlaff war seit Januar 2000 Bezirksältester, Jürgen Jeßke seit Dezember 1992.

Wie geplant wurde der bereits im Kirchenbezirk Brandenburg als Bezirksvorsteher tätige Älteste Thomas Krack nun auch als Leiter des Bezirks Berlin-Südwest beauftragt. Die beiden Bereiche wurden damit zu einem Bezirk mit dem Namen Berlin-Südwest vereinigt. Für den Bezirk Berlin-Ost wurde als neuer Bezirksvorsteher der bisherige Bezirksevangelist Stefan Gräbel zum Bezirksältesten ordiniert. Gleichzeitig wurden die Weichen für einen Leitungswechsel im Bezirk Berlin-Süd gestellt: Der bisherige Gemeindeevangelist Christian Mallek wurde zum Bezirksevangelisten ordiniert. Er solle im Januar Nachfolger des dortigen Bezirksältesten Dieter Wendt werden, kündigte Bezirksapostel Nadolny an.

"Ein Beispiel habe ich euch gegeben"

In seiner Predigt hatte er zuvor an die Gläubigen appelliert, sich Jesus Christus zum Vorbild im Leben zu nehmen. Anhand eines Bibelwortes aus dem Johannes-Evangelium – "Ein Beispiel habe ich euch gegeben" (Joh 13, aus 15) – rief er dazu auf, sich am Sohn Gottes zu orientieren und so selbst zu einem Vorbild für andere zu werden. "Jesus Christus hatte immer eine enge Verbindung zu seinem Vater, er ist seinen Mitmenschen mit Liebe begegnet und handelte entschlossen und konsequent", hob der Bezirksapostel Wesensmerkmale Jesu hervor und beleuchtete mehrere in der Bibel überlieferte Beispielsituationen.

Am Beispiel Christi maßzunehmen, definierte der Gebietskirchenleiter in der Predigt als Dreh- und Angelpunkt des Christseins und stellte dies auch in Beziehung zum allgemein geringer werdenden Interesse am christlichen Glauben. "Wir können darüber klagen, wir können Strategien entwickeln – aber das Entscheidende ist doch, dass die Christenheit nicht mehr nach dem Evangelium lebt und ihre Kraft verloren hat." Man müsse das Christsein im tagtäglichen Leben praktizieren, da sei jeder gefordert. "Wir erleben in unserem Land, dass das Christentum mehr und mehr zurückgedrängt wird. Es tut uns doch weh, dass die Menschen so wenig nach Gott fragen, sich nicht mehr für Kirche interessieren. Das jammert mich."

Sowohl im Rahmen der Predigt als auch in seiner Mitteilung an die Gemeinden im Anschluss an den Gottesdienst, betonte er angesichts der rückläufigen Entwicklung, Gott könne wieder "Hunger nach seinem Wort" ins Land schicken, "aber er hat es die letzten Jahren leider nicht getan – ich weiß nicht, warum". Die Schlussfolgerung des Bezirksapostels: "Wir sind verpflichtet, unseren Verstand einzusetzen und dafür zu sorgen, dass unsere Kirche auch in Zukunft noch existiert. Wir müssen heute handeln, um der nächsten Generation eine lebendige Kirche übergeben zu können."

Fotos: hdk / Text: thg

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